Zellenleben

12. April – 19. Mai 2019

Der Blick ist begrenzt, Fenster sind auf Sehschlitze reduziert. Fassaden von Gebäuden in der Schweiz oder in Millionenstädten auf anderen Kontinenten verweigern Rückschlüsse, was sich hinter ihnen verbirgt. Zuweilen wird ein Vorhang sichtbar, ein Tuch im Wind oder eine Jalousie verbiegt sich, als ob doch Leben spürbar ist. Klar ist, dass Grenzen gezogen werden zwischen Umwelt und Innenbereichen; unklar bleibt, wie sich das Leben hinter Mauern und abgedunkelten Fenstern gestaltet und ob es frei ist, eigene Kräfte zu entfalten. Fünf Künstlerinnen und Künstler entwickeln in der Ausstellung «Zellenleben» Ansichten auf Beschränkung, Formatierung, Gefangenschaft und Möglichkeiten, ihnen zu entweichen. Die Wände, Säulen und Fenster des Kunstraums werden während der Ausstellung zu Begrenzungen einer Zelle, die sich teilt. Video, Fotografie, Malerei, Zeichnung und Installation definieren Räume in Räumen und damit Möglichkeiten, künstlerisch Grenzen zu definieren und wieder ausser Kraft zu setzen.
Hintergrund und Anlass der Ausstellung sind Bilder von Boethius, einem der berühmtesten Gefangenen der Philosophiegeschichte. Über Jahrhunderte hinweg stellten Buchmaler den DenkerInnen dar, wie er in Gefangenschaft mit der Dame Philosophie über sein Schicksal und seine Freiheit spricht. Die Ausstellung zeigt Bildprotokolle. Das sind Auseinandersetzungen von zeitgenössischen Künstlerinnen und der Gestalterin Vera Kaspar mit historischen Bildern von Boethius und der Dame Philosophie. Die Bildprotokolle sind im Rahmen des Forschungsprojekts «Ikonografie der Trostschrift» entstanden. Die sogenannte «Trostschrift» von Boethius wurde im Kloster St. Gallen erstmalig ins Deutsche übersetzt.
Mit der Philosophie kommen die Fragen: Lassen sich die Arbeiten in der Ausstellung als Übersetzungen verstehen, und zwar von grundsätzlichen Fragen, was Gefangenschaft, was Freiheit ist, in künstlerischen Ausdruck? Ist diese Auseinandersetzung bereits eine Öffnung und Lösung von zuvor gefügten Elementen, die durch die Formen der Kunst nun ein Eigenleben führen? Das sind Fragen, die von künstlerischen Arbeiten in unterschiedlichen Medien formuliert werden.

Die Fotografien von Beat Streuli zeigen Fassaden, die Lebensräume der Sichtbarkeit entziehen; die Videoarbeit von Judith Albert ist Momenten des Übergangs von Ruhe zu Bewegtheit gewidmet; in einer Serie von Zeichnungen untersucht Jso Maeder, wie der Blick gelenkt wird und zwischen Sehen und Nicht-Sehen schwankt; Barbara Ellmerer stellt dar, wie innerhalb der Grenzen von Leinwänden Malerei Kräfte entfaltet, und zwar in Auseinandersetzung mit den Kräften innerhalb von biologischen Zellen. Dominic Neuwirth reagiert mit einer Installation auf die Wände und Grenzen, die von den Kunstwerken im Ausstellungsraum bewegt werden. Vera Kaspar stellt die Bildprotokolle des Forschungsprojekts «Ikonografie der Trostschrift» in einer Vitrine vor.

Die Ausstellung wird kuratiert von  Nils Röller (Zürcher Hochschule der Künste).

 

Die Ausstellung wird unterstützt vom Institut für Gegenwartskunst (IFCAR) der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Am IFCAR ist das Forschungsprojekt «Ikonografie der Trostschrift» angebunden. Es wird vom Schweizerischen Nationalsfonds SNF finanziert.

Im Rahmen der Ausstellung ist ein Symposion geplant. Künstlerinnen, Philosophinnen sprechen über das Denken und Herstellen von Bildern, die auf Bilder aus der Vergangenheit Bezug nehmen.